Smart Surfer

Datensammler

Es mag einem vielleicht seltsam vorkommen, dass es eine andere Person interessieren könnte, welche Bücher man im Internet kauft oder welche von anderen hochgeladenen Fotos man mag. Diese Daten sind jedoch oft die Währung, mit der man im Internet – auch bei kostenfreien Angeboten – „bezahlt“. Indem Daten von Nutzer*innen gesammelt und ausgewertet werden, wird beispielsweise individuelle Werbung geschaltet. Darüber hinaus können Vorlieben von Personengruppen erkannt und Profile über die Bewegung von Nutzer*innen im Internet erstellt werden und vieles mehr.

Marktmacht durch Daten

Fast jede*r erwachsene Deutsche hat schon einmal bei Amazon bestellt (Stand 2020). Rund 60 Millionen Deutsche nutzen täglich den zu Facebook gehörenden Messenger-Dienst WhatsApp. Die 70 Prozent der Smartphone-Besitzer*innen, die ein Gerät mit dem Betriebssystem Android haben, kommen an einem Google-Konto kaum vorbei. Die meisten der übrigen Smartphone-Nutzer*innen haben ein Apple-Gerät. Damit sind Daten von nahezu allen in Händen der vier großen US-amerikanischen IT-Giganten Google, Apple, Facebook und Amazon. Diese Unternehmen haben eins gemeinsam: ihre Marktmacht, die vor allem durch das Sammeln von Massen an Daten ihrer Nutzer*innen zustande kommt.

Beispiel Amazon

Amazon hat in Deutschland nicht nur einen großen Kundenkreis und eine Palette von 229 Millionen Produkten im Angebot (Stand 2020). Die Kund*innen werden durch ein spezielles Angebot, die sogenannte „Prime“-Mitgliedschaft, bei der für einen Jahresbeitrag von 69 Euro unter anderem jede Bestellung versandkostenfrei geliefert wird, stark an Amazon gebunden.

Mehr als 17 Millionen solcher Prime-Mitgliedschaften bestehen in Deutschland. Zugleich hält Amazon mit einer derart breiten Produktpalette, zahlreichen Händler*innen und einer Vielzahl an Bestellungen einen unglaublichen Datenschatz in Händen, der fleißig genutzt wird.

Zum einen werden die Such- und Bestellhistorien ausgewertet, um den Kund*innen immer zielgenauere Kaufempfehlungen zu machen. Der Algorithmus, der hinter den Empfehlungen steckt, schlägt ihnen dabei nicht nur etwa nach dem Kauf einer Sporthose den Kauf von Turnschuhen vor, er weiß aus vorangegangenen Käufen auch, ob er Ihnen hochwertigere oder günstigere Modelle anbieten muss, um Ihre Kauflust zu wecken.

Die Monopolmacht von Amazon führt dazu, dass nahezu niemand, der in den bei Amazon vertretenen Produktkategorien seine Waren online vertreiben will, an Amazon vorbeikommt. Diese besondere Stellung nutzt Amazon und verpflichtet die Händler, die auf dem Amazon Marketplace verkaufen wollen, dazu, ihre Produkte über kein anderes Portal günstiger anzubieten.

Kurz gesagt: Amazon ist nicht günstiger als die anderen, weil es einen niedrigeren Preis anbietet. Es verbietet einfach seinen Händlern, an anderer Stelle günstiger zu sein. Amazon ist nicht nur Marktplatz für die Produkte seiner Händler, es vertreibt auch Amazon-eigene Produkte. Hierfür hat es mit seiner Doppelrolle, selbst Händler und zugleich Marktplatz für seine Konkurrenzprodukte zu sein, optimale Voraussetzungen. Amazon kennt die Preise der Konkurrenz nämlich perfekt – und kann die eigene Preispolitik gezielt danach ausrichten. 60 Millionen Deutsche nutzen WhatsApp täglich.

Der Wert von Nutzerdaten

Neben gezielten Produktempfehlungen, die den Konsum ankurbeln sollen, dient vor allem personalisierte Werbung der Finanzierung all der scheinbar kostenlosen Angebote im Netz. Kostenlose E-Mail-Postfächer, kostenlose Routenplanung, kostenfreie Video-, Bild- oder Kommunikationsplattformen, kostenlose Vergleichsportale, kostenlose Musik usw. Einerseits handelt es sich um lauter Leistungen, für die man offline meist bezahlen muss und die man jetzt einfach so nutzen darf. Andererseits stellt sich die Frage: zu welchem Preis?

Beispiel Facebook

Die Werbeeinnahmen von Facebook betrugen 2019 weltweit knapp 70 Milliarden US-Dollar – das entspricht durchschnittlichen Werbeeinnahmen von 29,25 US-Dollar pro Nutzer*in. Betrachtet man nur die westliche Welt, dürfte der Betrag dort gut dreimal so hoch sein. Untersuchungen zeigen, dass sich mit verhaltensbasierter Werbung mehr als doppelt so viel einnehmen lässt wie mit pauschaler Werbung. Zur Personalisierung der Werbung nutzt Facebook 98 Datenpunkte (Stand 2016). Wenig überraschend sind dies Daten wie: Ort, Alter, Generation, Geschlecht, Sprache, Bildungsniveau, ethnische Zugehörigkeit, Einkommen und Eigenkapital, Hausbesitz und -typ, Beziehungsstatus, Arbeitgeber.

Facebook interessiert sich aber auch für besondere Ereignisse und Veränderungen im Leben seiner Nutzer*innen – da diese auch Veränderungen im Konsumverhalten nach sich ziehen können. Und so analysiert Facebook: Nutzer*innen, die innerhalb von 30 Tagen ein Jubiläum haben, die von der Familie oder Heimatstadt entfernt sind, in Fernbeziehungen, in neuen Beziehungen, mit neuen Jobs, die frisch verlobt oder verheiratet sind, die vor Kurzem umgezogen sind, die bald Geburtstag haben sowie Eltern und werdende Eltern.

Wie ein Dienst zu derart weitreichenden Annahmen kommt, kann man sich meist nur schwer vorstellen. Dahinter stecken oft Einzeldaten, die auf den ersten Blick banal erscheinen mögen.

In der Zusammenführung mit den Daten anderer Nutzer*innen und der systematischen Speicherung und Auswertung entfalten sie ihr Überwachungspotenzial: Sind zwei Endgeräte über Nacht zumeist im selben WLAN eingewählt, spricht viel dafür, dass es sich um Familienangehörige oder Lebenspartner*innen handelt. Wer regelmäßig an Werktagen zwischen 9 und 17 Uhr im selben WLAN unterwegs ist, wird ein*e Arbeitskolleg*in sein.

Und so könnte es den Facebook-Nutzer*innen irgendwann gehen wie einer jungen Kundin einer großen US-amerikanischen Supermarktkette. Der Händler hatte 2012 aufgrund einer Analyse der gekauften Produkte (etwa bestimmter Körperpflegeprodukte und Nahrungsergänzungsmittel) erkannt, dass das Mädchen wahrscheinlich schwanger ist. Daraufhin wurden der Kundin per E-Mail-Werbeangebote für Babykleidung zugesandt. Dies sah ihr Vater – und erfuhr auf diesem Weg von der Schwangerschaft seiner Teenager-Tochter.

Je nachdem, von wem welche Daten zu welchen Zwecken gesammelt werden, können die aus den Daten abgeleiteten Urteile und Bewertungen gravierende Folgen für die Betroffenen haben: Wahrscheinlichkeitsbewertungen aufgrund der Analyse gesammelter Daten sind die Basis für Bonitätsprüfungen von Anbietern wie der Schufa, Creditreform oder Infoscore. Diese Bewertungen entscheiden dann letztlich, ob man einen Kredit oder eine Mietwohnung erhält.

Anmerkung der Silver Tipps Redaktion: Aus redaktionellen Gründen haben wir den originalen Text gekürzt.

Das gesamte PDF des Moduls 6 finden Sie hier.

Dieser Artikel gibt den Sachstand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung wieder. Datum: 2. Juni 2022