„Der Hammer ist gut und böse“

Hinter der intelligenten Maschine steckt der Mensch

Technologien unterstützen das Leben der Menschen wie nie zuvor. Das auch aus gutem Grund: Sie sind anwenderfreundlich, erleichtern alltägliche Aufgaben und lösen viele Probleme. Insbesondere in die Forschung künstlicher Intelligenz, autonomen Fahrens und Robotik fließt viel Geld. Allerdings drehen sich auch etliche Mythen, übertriebene Erwartungen und pauschalisierte Aussagen um das Thema. Verlieren Millionen von Menschen ihre Jobs? Wird die Technologie zu Kriegszwecken eingesetzt? Vereinsamen ältere Menschen durch den Einsatz von Pflegerobotern? Professor Stephan Grätzel, Leiter des Arbeitsbereiches Praktische Philosophie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, beantwortet im Interview mit der Silver-Tipps-Redaktion Fragen rund um die Thematik.

„Menschen sind intelligent, Tiere sind intelligent, Maschinen aber nicht“

Silver Tipps: Können Maschinen intelligent sein?

Stephan Grätzel: Der Begriff der „künstlichen Intelligenz“ ist eigentlich irreführend, auch wenn er mittlerweile allgemein verbreitet ist. Maschinen sind nicht intelligent und können es auch nicht werden. Intelligenz ist eine Leistung, die Menschen und Tiere und sicher auch Bäume und Pflanzen haben. Maschinen sind dumm, sie verstehen nichts und müssen deshalb programmiert werden. Sie können keinen intelligenten Vorgang aus sich selbst hervorbringen. Der Begriff „künstliche Intelligenz“ verschleiert das. Intelligent sind die Menschen, die hinter den Maschinen stehen. Maschinen lösen lediglich ein Problem, das ihnen der Mensch vorgibt. Die Technik ist ein Instrument des Menschen, das nicht selbständig ist.

„Technik verspricht Dinge, die sie nicht halten kann“

Silver Tipps: Themen wie künstliche Intelligenz, autonomes Fahren und Robotik stehen aktuell vermehrt im Fokus der Medien. Sind die Erwartungen an die Technologien berechtigt oder werden sie übertrieben dargestellt?

Stephan Grätzel: Die Grenzen zwischen Wissenschaft und Science Fiction sind hier fließend. Das wird oft verkannt. Roboter sind keine menschenähnlichen Wesen und werden es auch nie sein. Generell verspricht die Technik oft mehr, als sie wirklich halten kann, wenn es um künstliche Formen des Lebens geht. Grund dafür sind Kinofilme oder Videospiele, aber auch eine sensationshungrige Presse. Die Sensationslust darf aber nie die wissenschaftliche Redlichkeit ablösen.

„Autonomes Fahren wird ein Randphänomen bleiben“

Silver Tipps: Können Sie das konkretisieren?

Stephan Grätzel: Ein gutes Beispiel ist autonomes Fahren. Das Thema wird momentan ganz stark nach außen getragen. Es wird aber ein Randphänomen bleiben, weil die Menschen sich dem autonomen Fahren nicht anvertrauen und nur sehr ungern die Kontrolle abgeben werden. Eine Rechenleistung kann auch nicht auf alle Ereignisse vorausberechnen. Das sehen wir am Wetter. Im normalen Verkehr wird sich das autonome Fahren nicht durchsetzen. Sicher wird es aber klar definierte und regulierte Verkehrsbereiche – vergleichbar dem Fahren auf Schienen – geben, in denen so etwas realisiert wird. Mit einem normalen Straßenverkehr hat das nichts zu tun.

„Maschinen können nicht angemessen mit Menschen kommunizieren“

Silver Tipps: Durch den Mangel an Fachpersonal könnten in Pflegeeinrichtungen zukünftig vermehrt Pflegeroboter zum Einsatz kommen. Können Roboter den menschlichen Kontakt adäquat ersetzen oder besteht zu einem gewissen Grad die Gefahr der sozialen Vereinsamung?

Stephan Grätzel: Es besteht bei Pflegerobotern durchaus die Gefahr der sozialen Vereinsamung, da sie nicht angemessen mit den Menschen kommunizieren können. Sie können zwar Antworten geben und werden hier auch immer besser, aber sie können eben keinen richtigen Dialog führen. Das ist noch einmal etwas anderes. Zum wechselseitigen Verstehen benötigt man Intelligenz. Diese Intelligenz hat eine Maschine wie gesagt nicht. Sie kann nicht auf Situationen reagieren, die nicht vorhersehbar und damit auch programmiert sind. Bei einem echten Gespräch weiß man nie, wo es hinführt. Nur dann, wenn man das Ergebnis einer Kommunikation kennt, kann es auch eine Maschine führen. Allerdings spricht man dann nicht von einem echten Gespräch.

„Maschinen tragen erheblich dazu bei, dass ein gelingendes Leben funktionieren kann“

Silver Tipps: Haben Maschinen ein ethisches Bewusstsein?

Stephan Grätzel: Dazu muss man zunächst einmal klären, was Ethik ist. Ethik ist das wissenschaftliche, kritische Nachdenken über Fragen der Lebensführung: Was ist ein gutes, gerechtes, wahres und schönes Leben? Darum geht es den Menschen im Leben –, es sind die Grundlagen ihrer Handlungen. Maschinen können sich darüber keine Gedanken machen. Ethische Fragen beziehen sich also nur auf die Menschen, die die Technik steuern und programmieren. Maschinen tragen allerdings erheblich dazu bei, dass Leben gelingen kann. Vom Rasenmähen bis zur Betreuung von dementen Menschen kann die Technik uns bei vielen Tätigkeiten unterstützen.

„Der Hammer ist gut und böse“

Silver Tipps: Besteht die Gefahr, dass die neuen Technologien in Zukunft auch vermehrt zweckentfremdet werden, wie zum Beispiel in der Kriegsführung?

Stephan Grätzel: Menschen können die Technik natürlich zweckentfremden. Jede Technik kann auch eine negative Seite haben wie zum Beispiel schon ein Hammer für gute oder schlechte Zwecke gebraucht werden kann. Es hängt vom Einsatz ab, nicht von der Sache selbst. Das gilt auch für Waffen. Es gibt keine guten und bösen Waffen, sondern nur gute oder schlechte Zwecke, für die Waffen verwendet werden. Entscheidend ist also die Politik, nicht die Technik.

„Das ist nichts Neues, sondern ein grundsätzliches Problem der letzten hundert Jahre“

Silver Tipps: Viele Menschen haben Angst, beruflich durch Maschinen ersetzt zu werden. Wie schätzen Sie die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt ein?

Stephan Grätzel: Der Arbeitsmarkt wird sich sicher umschichten. „Primitive Arbeiten“ werden durch Maschinen ersetzt. Das ist auch gut so. Vieles wird sich realisieren, von dem wir heute nichts ahnen. Dadurch wird es auch einen ungeheuren Bedarf an neuer Arbeit, geben.

Silver Tipps: Dafür müssen viele Menschen aber den Umgang mit den neuen Technologien erlernen. Viele schaffen das vielleicht gar nicht mehr.

Stephan Grätzel: Viele Menschen, die mit den neuen Herausforderungen nicht mehr zurechtkommen, könnten bei dieser Umschichtung auf der Strecke bleiben. Deshalb ist hier die Bildung, aber auch die Weiterbildung gefragt. Die Schulen reagieren schon darauf und geben der Digitalisierung im Unterricht Raum, um den Bedarf früh zu erkennen. Die Universität hat neben Forschung und Lehre auch den Auftrag der Weiterbildung. Das wird manchmal vergessen. Viele ältere Menschen haben mit dem rasanten Wechsel in der Arbeitswelt Probleme. Ältere Menschen hatten allerdings auch schon in der Vergangenheit Probleme mit rasanten Wechseln. Denken Sie nur an die letzten hundert Jahre mit den ganzen technischen Fortschritten. Im Bereich der Weiterbildung wird aber heute viel getan, so dass auch ältere Menschen hier Schritt halten können.

„Die Generationen ergänzen sich sehr gut“

Silver Tipps: Ist es also eine Frage des Alters, ob Maschinen als eine Bereicherung wahrgenommen werden?

Stephan Grätzel: Maschinen werden immer anwenderfreundlicher und sind leichter verständlich als früher. Deshalb bekommen immer mehr ältere Menschen sehr gute Kompetenzen in dem Bereich– vielleicht andere als jüngere Menschen. Sie wenden nämlich die Möglichkeiten, die sie durch neue Technologien erhalten, anders an, indem sie andere Interessen und Ziele verfolgen. Die Generationen ergänzen sich hier sehr gut. Man könnte von einer großen Internetgemeinde sprechen, zu der die ältere Generation mit ihrer Lebensweisheit und Vorsicht viel beitragen– sie bereichern kann. Ältere Menschen muss man nicht mitziehen, sie bereichern dieses Feld von sich aus.

Dieser Artikel gibt den Sachstand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung wieder. Datum: 27. August 2018